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Taschenbuch

Wider die Schauspieler!

Von Franz Schuh

Der Philosoph und Filmemacher Arno Böhler veröffentlichte jüngst eine Glosse, deren Kürze umgekehrt proportional zu ihrer Wichtigkeit war; es ging darin um ein Problem, das jeder von verschiedenen Seiten her kennt: Man wird das Gefühl nicht los, dass in dieser Welt kaum das so genannte Authentische gilt, sondern vielmehr dessen Substitute gelten, Ersatzformen, die sich durchsetzen, weil sie inhaltsleer und daher flexibel sind. (Hervorhebung d. HW) Ihre Flexibilität macht sie geeignet für Inszenierungen, die, falls sie gelingen, mit der Sache selbst verwechselt werden können. Den Siegeszug des Theatralischen ist zuletzt die katholische Religion angetreten, und es schieden sich die Geister in solche, die nimmermüde versicherten, was sich vor unser aller Augen abspielte, sei das Authentische schlechthin gewesen, der Todeskampf eines Würdenträgers, der in der Fit-und-Fun-Gesellschaft die Zerbrechlichkeit des Menschenwesens tapfer zelebrierte. Andere aber, gewiss nur die üblichen Verdächtigen, meinten, in dieser global gesendeten Imitatio Christi hätte sich eine Person vor Christus gestellt und im Personenkult Christus am Ende verdeckt.

Es gäbe, so Böhlers These, einen historischen Vorfall, von dem an die Kultur durch alles Maskenhafte und Unechte, durch die Schauspielerei im schlechtesten Sinn beherrscht worden wäre. Er stimmt Heidegger darin zu, »dass die Freundschaft zwischen Nietzsche und Wagner, vor allem aber deren unausweichliches Ende ein symptomatischer Vorfall von welthistorischer Bedeutung ist … Denn was in dieser Freundschaft vermutlich auf dem Spiel steht, ist der feine Unterschied zwischen einer ›Bayreuther Eventkultur‹ und dem, was Heidegger selbst im Anschluss an Nietzsche eine Kultur des Ereignisses bezeichnet hat.« Events, so Böhler, seien inszenierte Großereignisse, die strategisch kontrollierbare Masseneffekte erzeugen sollen, während »Ereignisse« unverfügbar sind: Sie geschehen, »und zwar in der Stille«.

Alle sind ja so von Wagner beeindruckt

Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung heißen zwei im Insel Verlag erschienene Bände, die das gigantische Verhältnis der beiden dokumentieren, aber es gibt – für die notwendige und die grundsätzliche Einsicht – auch ein Reclam-Heft mit Nietzsches Schriften: Richard Wagner in Bayreuth / Der Fall Wagner / Nietzsche contra Wagner. Wagnerianer wissen sich sogar gegen Nietzsche zu helfen: Sie hören einer Komposition Nietzsches zu, und sie fragen, wenn es still geworden ist, wo denn das Ereignis geblieben sei. Das ist unfair, aber man kann ja auch umgekehrt Wagnerianern »Stellen« aus den Schriften des Meisters vorlesen. Nietzsche, nachdem er selbst kein Anhänger mehr war, hatte Wagners Anhänger stets im Visier. Je mehr der Meister sich auf seine Art als Größe präsentierte, desto kleiner und spießiger, desto mehr an der Zahl wurden sie.

Alle sind ja so von Wagner beeindruckt, und dies ist es, was Nietzsche aufspießt: Wagner gefällt, weil alles von ihm »zur Überredung von Massen erfunden« wurde. Wer an der größten möglichen Wirkung arbeitet, arbeitet – nach Nietzsche – nicht an der Sache; er ersetzt die Substanz durch Wirkung, durch den Gefallen, den er erregt. In diesem Sinne ist für Nietzsche Wagner kein Musiker, sondern ein Schauspieler: »…er will die Wirkung, nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken hat! – Er hat darin die Unbedenklichkeit, … die jeder Theatermensch hat, er hat auch dessen Verachtung der Welt, die er sich zu Füßen legt! … Man ist Schauspieler damit, dass man eine Einsicht dem Rest der Menschen voraus hat: was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein.«

Mit dieser Maxime könnte das Skript überschrieben sein, nach dem vieles in der mediatisierten Welt abläuft. Danach wären die Nachfolger Wagners Leute, die keine Ahnung davon haben und die es niemals glauben würden: ein Gerhard Zeiler zum Beispiel oder ein Helmut Thoma. Sie machen keine Musik, auch wenn einmal ein Großintendant sein Fernsehen eine »Orgel« genannt hatte. Sie sind von Wahrheitsfragen befreit – als Organisationstalente können sie sich mit Haut und Haaren den Wirkungen widmen, die auf dem Programm stehen. Die Institutionen, die sich ihrer bedienen, versuchen, aus allen Leuten Schauspieler zu machen und das Publikum so zu konditionieren, dass es niemanden mehr wahrnimmt, der (sich) nicht spielt. Verwirrend die Frage: War nicht Nietzsche auch ein Schauspieler und Heidegger auf der Bauernbühne in Todtnauberg …

Friedrich Nietzsche: Richard Wagner in Bayreuth / Der Fall Wagner / Nietzsche contra Wagner
Reclams Universalbibliothek 7126; Verlag Philip Reclam jun., 1973; 167 S., 4,10 €

(c) DIE ZEIT 28.04.2005 Nr.18