Anstatt einer Vorrede Nietzsches Fluch. – Daher ist aber auch von Jedem, der in das Denken Nietzsches eindringen will, erfordert, daß in ihm selbst ein aus sich Verläßliches spreche. Wenn in Nietzsche etwas an den Tag drängt, etwas Überwindendes, ein Mehrwollen, ein Ungenügen, etwas, das doch ständig zu versinken scheint, so liegt darin ein außerordentlicher Anspruch an den Menschen, der ihm zuhört. Dieses Denken fordert eine hohe Freiheit des Menschen, aber nicht die leere Freiheit, welche nur alles abgeworfen hat, sondern die erfüllte Freiheit, die aus der geschichtlichen Tiefe des Menschen, ihm selber unbegreiflich, als sein sich Sichgeschenktwerden entgegenkommt. Wer sich durch Nietzsche verführen läßt in die Sophistik der bloßen Sätze, in die Scheinbarkeit eines Erkannthabens, in die Berauschung durch das Extrem, in die Beliebigkeit des Triebhaften, den hat von vornherein sein Fluch getroffen. In verwunderlichen Sätzen hat er den Fluch ausgesprochen, nicht nur durch die Abwehr "zudringlicher Bewunderer", der "Affen Zarathustras", nicht nur durch die Sorge "was für Unberechtigte und gänzlich Ungeeignete sich einmal auf meine Autorität berufen werden", sondern geradezu: Angesichts der Menschen, die sich durch sein Denken täuschen und verführen lassen, ruft er vernichtend: "Diesen Menschen von heute will ich nicht Licht sein, nicht Licht heißen. Die – will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die Augen aus!" (VI, 421). Es ist kein freundlicher Abschluß, mit dem Nietzsche entläßt. Es ist, als ob er sich uns versage. Alles wird auf uns gelegt. Wahr ist nur, was durch Nietzsche aus uns selber kommt. Karl Jaspers, Nietzsche und das Christentum, Verlag der Bücherstube Fritz Seifert, Hameln, S. 85 (Ausarbeitung als Grundlage eines Vortrages, der auf Einladung des Wissenschaftlichen Predigervereins in Hannover am 12. Mai 1938 gehalten wurde.) |